"Wir reden zuviel", sagte er mit ungewohntem Ernst. "Das kluge Reden hat gar keinen
Wert, gar keinen. Man kommt von sich selber weg. Von sich selber wegkommen ist Sünde.
Man muss sich in sich selber völlig verkriechen können wie eine Schildkröte."
Gleich darauf betraten wir den Schulsaal. Die Stunde begann, ich gab mir Mühe
aufzumerken, und Demian störte mich darin nicht. Nach einer Weile begann ich von der
Seite her, wo er neben mir saß, etwas Eigentümliches zu spüren, eine Leere oder Kühle
oder etwas dergleichen, so, als sei der Platz unversehens leer geworden. Als das
Gefühl beengend zu werden anfing, drehte ich mich um.
Da sah ich meinen Freund sitzen, aufrecht und in guter Haltung wie sonst. Aber er
sah dennoch ganz anders aus, als sonst, und etwas ging von ihm aus, etwas umgab ihn,
was ich nicht kannte. Ich glaubte, er habe die Augen geschlossen, sah aber, dass er
sie offen hielt. Sie blickten aber nicht, sie waren nicht sehend, sie waren starr und
nach innen oder in eine große Ferne gewendet. Vollkommen regungslos saß er da, auch zu
atmen schien er nicht, sein Mund war wie aus Holz oder Stein geschnitten. Sein Gesicht
war blaß, gleichmäßig bleich wie Stein, und die braunen Haare waren das Lebendigste an
ihm. Seine Hände lagen vor ihm auf der Bank, leblos und still wie Gegenstände, wie
Steine oder Früchte, bleich und regungslos, doch nicht schlaff, sonder fest, gute Hüllen
um ein verborgnes starkes Leben.
Der Anblick machte mich zittern. Er ist tot! dachte ich, beinahe sagte ich es laut.
Aber ich wusste, dass er nicht tot sei. Ich hing mit gebanntem Blick an seinem Gesicht,
an dieser blassen, steinernen Maske, und ich fühlte: das war Demian! Wie er sonst war,
wenn er mit mir ging und sprach, das war nur ein halber Demian, einer, der zeitweilig
eine Rolle spielte, sich anbequemte, aus Gefälligkeit mittat. Der wirkliche Demian aber
sah so aus, so wie dieser, so steinern, uralt, tierhaft, steinhaft, schön und kalt, tot
und heimlich voll von unerhörtem Leben. Und um ihn her diese stille Leere, dieser Äther
und Sternenraum, dieser einsame Tod!
Jetzt ist der ganz in sich hineingegangen, fühlte ich unter Schauern. Nie war ich
so vereinsamt gewesen. Ich hatte nicht Teil an ihm, er war mir unerreichbar, er war
mir ferner, als wenn er auf der fernsten Insel der Welt gewesen wäre.
Von Hermann Hesse ©
Gibbelprosa
Dienstag, 25. Dezember 2012
HERMANN HESSE, KURZGESCHICHTE: "Die Stadt"
"Es geht vorwärts!" rief der Ingenieur, als auf der gestern
neugelegten Schienenstrecke schon der zweite Eisenbahnzug voll Menschen, Kohlen,
Werkzeugen und Lebensmitteln ankam. Die Prärie glühte leise im gelben
Sonnenlicht, blaudunstig stand am Horizont das hohe Waldgebirge. Wilde Hunde
und erstaunte Präriebüffel sahen zu, wie in der Einöde Arbeit und Getümmel
anhob, wie im grünen Lande Flecken von Kohlen und von Asche und von Papier
und von Blech entstanden. Der erste Hobel schrillte durch das erschrockene Land,
der erste Flintenschuß donnerte auf und verrollte am Gebirge hin, der erste
Amboß klang helltönig unter raschen Hammerschlägen auf. Ein Haus aus Blech
entstand, und am nächsten Tag eines aus Holz, und andere, und täglich neue, und
bald auch steinerne. Die wilden Hunde und Büffel blieben fern, die Gegend wurde
zahm und fruchtbar, es wehten schon im ersten Frühjahr Ebenen voll grüner Feldfrucht,
Höfe und Ställe und Schuppen ragten daraus auf,
Straßen schnitten durch die Wildnis.
Der Bahnhof wurde fertig und eingeweiht, und das Regierungsgebäude, und die Bank,
mehrere kaum um Monate jüngere Schwesterstädte erwuchsen in der Nähe. Es
kamen Arbeiter aus aller Welt, Bauern und Städter, es kamen Kaufleute und Advokaten,
Prediger und Lehrer, es wurde eine Schule gegründet, drei religiöse
Gemeinschaften, zwei Zeitungen. im Westen wurden Erdölquellen gefunden, es kam
großer Wohlstand in die junge Stadt. Noch ein Jahr, da gab es schon
Taschendiebe, Zuhälter, Einbrecher, ein Warenhaus, einen Alkoholgegnerbund,
einen Pariser Schneider, eine bayrische Bierhalle. Die Konkurrenz d6r Nebenstä
dte beschleunigte das Tempo. Nichts fehlte mehr, von der Wahlrede bis zum Streik,
vom Kinotheater bis zum Spiritistenverein. Man konnte französischen Wein,
norwegische Heringe, italienische Würste, englische Kleiderstoffe, russischen
Kaviar in der Stadt haben. Es kamen schon Sänger, Tänzer und Musiker zweiten
Ranges auf ihren Gastreisen in den Ort.
Und es kam auch langsam die Kultur. Die Stadt, die anfänglich nur eine
Gründung gewesen war, begann eine Heimat zu werden. Es gab hier eine Art, sich
zu grüßen, eine Art, sich im Begegnen zuzunicken, die sich von den Arten in
andern Städten leicht und zart unterschied. Männer, die an der Gründung der
Stadt teilgehabt hatten, genossen Achtung und Beliebtheit, ein kleiner Adel
strahlte von ihnen aus. Ein junges Geschlecht wuchs auf, dem erschien die Stadt
schon als eine alte, beinahe von Ewigkeit stammende H Heimat. Die Zeit, da hier
der erste Hammerschlag erschollen, der erste Mord geschehen, der erste
Gottesdienst gehalten, die erste Zeitung gedruckt worden war, lag fern in
der Vergangenheit, war schon Geschichte.
Die Stadt hatte sich zur Beherrscherin der Nachbarstädte und zur Hauptstadt
eines großen Bezirkes erhoben. An breiten, heiteren Straßen, wo einst
neben Aschenhaufen und Pfützen die ersten Hütten aus Brettern und Wellblech
gestanden hatten, erhoben sich ernst und ehrwürdig Amtshäuser und Banken, Theater
und Kirchen. Studenten gingen schlendernd zur Universität und Bibliothek,
Krankenwagen fuhren leise zu den Kliniken, der Wagen eines Abgeordneten wurde
bemerkt und begrüßt; in zwanzig gewaltigen Schulhäusern aus Stein und Eisen
wurde jedes Jahr der Gründungstag der ruhmreichen Stadt mit Gesang und
Vorträgen gefeiert. Die ehemalige Prärie war von Feldern, Fabriken, Dörfern
bedeckt und von zwanzig Eisenbahnlinien durchschnitten, das Gebirge war
nahegerückt und durch eine Bergbahn bis ins herz der Schluchten erschlossen.
Dort, oder fern am Meer, hatten die Reichen ihre Sommerhäuser.
Ein Erdbeben warf, hundert Jahre nach ihrer Gründung, die Stadt bis auf kleine
Teile zu Boden. Sie erhob sich von neuem, und alles Hölzerne ward nun Stein,
alles Kleine groß, alles Enge weit. Der Bahnhof war der größte des Landes, die
Börse die größte des ganzen Erdteils, Architekten und Künstler schmückten
die verjüngte Stadt mit öffentlichen Bauten, Anlagen, Brunnen, Denkmälern. Im
Laufe dieses neuen Jahrhunderts erwarb sich die Stadt den Ruf, die schönste
und reichste des Landes und eine Sehenswürdigkeit zu sein. Politiker und
Architekten, Techniker und Bürgermeister fremder Städte kamen gereist, um die
Bauten, Wasserleitungen, die Verwaltung und andere Einrichtungen der berühmten
Stadt zu studieren. Um jene Zeit begann der Bau des neuen Rathauses, eines der
größten und herrlichsten Gebäude der Welt, und da diese Zeit beginnenden Reichtums
und städtischen Stolzes glücklich mit einem Aufschwung des allgemeinen Geschmacks,
der Baukunst und Bildhauerei vor allem, zusammentraf, ward die rasch wachsende
Stadt ein keckes und wohlgefälliges Wunderwerk. Den innern Bezirk, dessen Bauten
ohne Ausnahme aus einem edlen, hellgrauen Stein bestanden, umschloß ein breiter
grüner Gürtel herrlicher Parkanlagen, und jenseits dieses Ringes verloren
sich Straßenzüge und Häuser in weiter Ausdehnung langsam ins Freie und Ländliche.
Viel besucht und bewundert wurde ein ungeheures Museum, in dessen hundert Sälen,
Höfen und Hallen die Geschichte der Stadt von ihrer Entstehung bis zur
letzten Entwicklung dargestellt war. Der erste, ungeheure Vorhof dieser Anlage
stellte die ehemalige Prärie dar, mit wohlgepflegten Pflanzen und Tieren und
genauen Modellen der frühesten elenden Behausungen, Gassen und Einrichtungen.
Da lustwandelte die Jugend der Stadt und betrachtete den Gang ihrer Geschichte,
vom Zelt und Bretterschuppen an, vom ersten unebenen Schienenpfad bis zum Glanz
der großstädtischen Straßen. Und sie lernten daran, von ihren Lehrern geführt
und unterwiesen, die herrlichen Gesetze der Entwicklung und des
Fortschritts begreifen, wie aus dem Rohen das Feine, aus dem Tier der Mensch,
aus dem Wilden der Gebildete, aus der Not der Überfluß, aus der Natur die
Kultur entstehe.
Im folgenden Jahrhundert erreichte die Stadt den Höhepunkt ihres Glanzes, der sich in reicher Üppigkeit entfaltete und eilig steigerte, bis eine blutige Revolution der unteren Stände dem ein Ziel setzte. Der Pöbel begann damit, viele von den großen Erdölwerken, einige Meilen von der Stadt entfernt, anzuzünden, so daß ein großer Teil des Landes mit Fabriken, Höfen und Dörfern teils verbrannte, teils verödete. Die Stadt selbst erlebte zwar Gemetzel und Greuel jeder Art, blieb aber bestehen und erholte sich in nüchternen Jahrzehnten wieder langsam, ohne aber das frühere flotte Leben und Bauen je wieder zu vermögen. Es war während ihrer üblen Zeit ein fernes Land jenseits der Meere plötzlich aufgeblüht, das lieferte Korn und Eisen, Silber und andere Schätze mit der Fülle eines unerschöpften Bodens, der noch willig hergibt. Das neue Land zog die brachen Kräfte, das Streben und Wünschen der alten Welt gewaltsam an sich, Städte blühten dort über Nacht aus der Erde, Wälder verschwanden, Wasserfälle wurden gebändigt.
Die schöne Stadt begann langsam zu verarmen. Sie war nicht mehr Herz und Gehirn einer Welt, nicht mehr Markt und Börse vieler Länder. Sie mußte damit zufrieden sein, sich am Leben zu erhalten und im Lärm neuer Zeiten nicht ganz zu erblassen. Die müßigen Kräfte, soweit sie nicht nach der fernen neuen Welt fortschwanden, hatten nichts mehr zu bauen und zu erobern und wenig mehr zu handeln und zu verdienen. Statt dessen keimte in dein nun alt gewordenen Kulturboden ein geistiges Leben, es gingen Gelehrte und Künstler von der stillwerdenden Stadt aus, Maler und Dichter. Die Nachkommen derer, welche einst auf dem jungen Boden die ersten Häuser erbaut hatten, brachten lächelnd ihre Tage in stiller, später Blüte geistiger Genüsse und Bestrebungen hin, sie malten die wehmütige Pracht alter moosiger Gärten mit verwitternden Statuen und grünen Wassern und sangen in zarten Versen vom fernen Getümmel der alten heldenhaften Zeit oder vom stillen Träumen müder Menschen in alten Palästen. Damit klangen der Name und Ruhm dieser Stadt noch einmal durch die Welt. Mochten draußen Kriege die Völker erschüttern und große Arbeiten sie beschäftigen, hier wußte man in verstummter Abgeschiedenheit den Frieden walten und den Glanz versunkener Zeiten leise nachdämmern: stille Straßen, von Blütenzweigen überhangen, wetterfarbene Fassaden mächtiger Bauwerke über lärmlosen Plätzen träumend, moosbewachsene Brunnenschalen in leiser Musik von spielenden Wassern überronnen. Manche Jahrhunderte war die alte träumende Stadt für die jüngere Welt ein ehrwürdiger und geliebter Ort, von Dichtern besungen und von Liebenden besucht. Doch drängte das Leben der Menschheit immer mächtiger nach anderen Erdteilen hin. Und in der Stadt selbst begannen die Nachkommen der alten einheimischen Familien aus zusterben oder zu verwahrlosen. Es hatte auch die letzte geistige Blüte ihr Ziel längst erreicht, und übrig blieb nur verwesendes Gewebe. Die kleineren Nachbarstädte waren seit längeren Zeiten ganz verschwunden, zu stillen Ruinenhaufen geworden, zuweilen von ausländischen Malern und Touristen besucht, zuweilen von Zigeunern und entflohenen Verbrechern bewohnt. Nach einem Erdbeben, das indessen die Stadt selbst verschonte, war der Lauf des Flusses verschoben und ein Teil des verödeten Landes zu Sumpf, ein anderer dürr geworden. Und von den Bergen her, wo die Reste uralter Steinbrücken und Landhäuser zerbröckelten, stieg der Wald, der alte Wald, langsam herab. Er sah die weite Gegend öde liegen und zog langsam ein Stück nach dem andern in seinen grünen Kreis, überflog hier einen Sumpf mit flüsterndem Grün, dort ein Steingeröll mit jungem, zähem Nadelholz. In der Stadt hausten am Ende keine Bürger mehr, nur noch Gesindel, unholdes, wildes Volk, das in den schiefen, einsinkenden Palästen der Vorzeit Obdach nahm und in den ehemaligen Gärten und Straßen seine mageren Ziegen weidete. Auch diese letzte Bevölkerung starb allmählich in Krankheiten und Blödsinn aus, die ganze Landschaft war seit der Versumpfung von Fieber heimgesucht und der Verlassenheit anheimgefallen. Die Reste des alten Rathauses, das einst der Stolz seiner Zeit gewesen war, standen noch immer sehr hoch und mächtig, in Liedern aller Sprachen besungen und ein Herd unzähliger Sagen der Nachbarvölker, deren Städte auch längst verwahrlost waren und deren Kultur entartete. In Kinder-Spukgeschichten und melancholischen Hirtenliedern tauchten entstellt und verzerrt noch die Namen der Stadt und der gewesenen Pracht gespenstisch auf, und Gelehrte ferner Völker, deren Zeit jetzt blühte, kamen zuweilen auf gefährlichen Forschungsreisen in die Trümmerstädte, über deren Geheimnisse die Schulknaben entfernter Länder sich begierig unterhielten. Es sollten Tore von reinem Gold und Grabmäler voll von Edelsteinen dort sein, und die wilden Nomadenstämme der Gegend sollten aus alten fabelhaften Zeiten her verschollene Reste einer tausendjährigen Zauberkunst bewahren. Der Wald aber stieg weiter von den Bergen her in die Ebene, Seen und Flüsse entstanden und vergingen, und der Wald rückte vor und ergriff und verhüllte langsam das ganze Land, die Reste der alten Straßenmauern, der Paläste, Tempel, Museen, und Fuchs und Marder, Wolf und Bär bevölkerten die Einöde. Über einem der gestürzten Paläste, von dem kein Stein mehr am Tage lag, stand eine junge Kiefer, die war vor einem Jahr noch der vorderste Bote und Vorläufer des heranwachsenden Waldes gewesen. Nun aber schaute auch sie schon wieder weit auf jungen Wuchs hinaus.
"Es geht vorwärts!" rief ein Specht, der am Stamme hämmerte, und sah den wachsenden Wald und den herrlichen, grünenden Fortschritt auf Erden zufrieden an.
Von Hermann Hesse ©
Im folgenden Jahrhundert erreichte die Stadt den Höhepunkt ihres Glanzes, der sich in reicher Üppigkeit entfaltete und eilig steigerte, bis eine blutige Revolution der unteren Stände dem ein Ziel setzte. Der Pöbel begann damit, viele von den großen Erdölwerken, einige Meilen von der Stadt entfernt, anzuzünden, so daß ein großer Teil des Landes mit Fabriken, Höfen und Dörfern teils verbrannte, teils verödete. Die Stadt selbst erlebte zwar Gemetzel und Greuel jeder Art, blieb aber bestehen und erholte sich in nüchternen Jahrzehnten wieder langsam, ohne aber das frühere flotte Leben und Bauen je wieder zu vermögen. Es war während ihrer üblen Zeit ein fernes Land jenseits der Meere plötzlich aufgeblüht, das lieferte Korn und Eisen, Silber und andere Schätze mit der Fülle eines unerschöpften Bodens, der noch willig hergibt. Das neue Land zog die brachen Kräfte, das Streben und Wünschen der alten Welt gewaltsam an sich, Städte blühten dort über Nacht aus der Erde, Wälder verschwanden, Wasserfälle wurden gebändigt.
Die schöne Stadt begann langsam zu verarmen. Sie war nicht mehr Herz und Gehirn einer Welt, nicht mehr Markt und Börse vieler Länder. Sie mußte damit zufrieden sein, sich am Leben zu erhalten und im Lärm neuer Zeiten nicht ganz zu erblassen. Die müßigen Kräfte, soweit sie nicht nach der fernen neuen Welt fortschwanden, hatten nichts mehr zu bauen und zu erobern und wenig mehr zu handeln und zu verdienen. Statt dessen keimte in dein nun alt gewordenen Kulturboden ein geistiges Leben, es gingen Gelehrte und Künstler von der stillwerdenden Stadt aus, Maler und Dichter. Die Nachkommen derer, welche einst auf dem jungen Boden die ersten Häuser erbaut hatten, brachten lächelnd ihre Tage in stiller, später Blüte geistiger Genüsse und Bestrebungen hin, sie malten die wehmütige Pracht alter moosiger Gärten mit verwitternden Statuen und grünen Wassern und sangen in zarten Versen vom fernen Getümmel der alten heldenhaften Zeit oder vom stillen Träumen müder Menschen in alten Palästen. Damit klangen der Name und Ruhm dieser Stadt noch einmal durch die Welt. Mochten draußen Kriege die Völker erschüttern und große Arbeiten sie beschäftigen, hier wußte man in verstummter Abgeschiedenheit den Frieden walten und den Glanz versunkener Zeiten leise nachdämmern: stille Straßen, von Blütenzweigen überhangen, wetterfarbene Fassaden mächtiger Bauwerke über lärmlosen Plätzen träumend, moosbewachsene Brunnenschalen in leiser Musik von spielenden Wassern überronnen. Manche Jahrhunderte war die alte träumende Stadt für die jüngere Welt ein ehrwürdiger und geliebter Ort, von Dichtern besungen und von Liebenden besucht. Doch drängte das Leben der Menschheit immer mächtiger nach anderen Erdteilen hin. Und in der Stadt selbst begannen die Nachkommen der alten einheimischen Familien aus zusterben oder zu verwahrlosen. Es hatte auch die letzte geistige Blüte ihr Ziel längst erreicht, und übrig blieb nur verwesendes Gewebe. Die kleineren Nachbarstädte waren seit längeren Zeiten ganz verschwunden, zu stillen Ruinenhaufen geworden, zuweilen von ausländischen Malern und Touristen besucht, zuweilen von Zigeunern und entflohenen Verbrechern bewohnt. Nach einem Erdbeben, das indessen die Stadt selbst verschonte, war der Lauf des Flusses verschoben und ein Teil des verödeten Landes zu Sumpf, ein anderer dürr geworden. Und von den Bergen her, wo die Reste uralter Steinbrücken und Landhäuser zerbröckelten, stieg der Wald, der alte Wald, langsam herab. Er sah die weite Gegend öde liegen und zog langsam ein Stück nach dem andern in seinen grünen Kreis, überflog hier einen Sumpf mit flüsterndem Grün, dort ein Steingeröll mit jungem, zähem Nadelholz. In der Stadt hausten am Ende keine Bürger mehr, nur noch Gesindel, unholdes, wildes Volk, das in den schiefen, einsinkenden Palästen der Vorzeit Obdach nahm und in den ehemaligen Gärten und Straßen seine mageren Ziegen weidete. Auch diese letzte Bevölkerung starb allmählich in Krankheiten und Blödsinn aus, die ganze Landschaft war seit der Versumpfung von Fieber heimgesucht und der Verlassenheit anheimgefallen. Die Reste des alten Rathauses, das einst der Stolz seiner Zeit gewesen war, standen noch immer sehr hoch und mächtig, in Liedern aller Sprachen besungen und ein Herd unzähliger Sagen der Nachbarvölker, deren Städte auch längst verwahrlost waren und deren Kultur entartete. In Kinder-Spukgeschichten und melancholischen Hirtenliedern tauchten entstellt und verzerrt noch die Namen der Stadt und der gewesenen Pracht gespenstisch auf, und Gelehrte ferner Völker, deren Zeit jetzt blühte, kamen zuweilen auf gefährlichen Forschungsreisen in die Trümmerstädte, über deren Geheimnisse die Schulknaben entfernter Länder sich begierig unterhielten. Es sollten Tore von reinem Gold und Grabmäler voll von Edelsteinen dort sein, und die wilden Nomadenstämme der Gegend sollten aus alten fabelhaften Zeiten her verschollene Reste einer tausendjährigen Zauberkunst bewahren. Der Wald aber stieg weiter von den Bergen her in die Ebene, Seen und Flüsse entstanden und vergingen, und der Wald rückte vor und ergriff und verhüllte langsam das ganze Land, die Reste der alten Straßenmauern, der Paläste, Tempel, Museen, und Fuchs und Marder, Wolf und Bär bevölkerten die Einöde. Über einem der gestürzten Paläste, von dem kein Stein mehr am Tage lag, stand eine junge Kiefer, die war vor einem Jahr noch der vorderste Bote und Vorläufer des heranwachsenden Waldes gewesen. Nun aber schaute auch sie schon wieder weit auf jungen Wuchs hinaus.
"Es geht vorwärts!" rief ein Specht, der am Stamme hämmerte, und sah den wachsenden Wald und den herrlichen, grünenden Fortschritt auf Erden zufrieden an.
Von Hermann Hesse ©
HERMANN HESSE; KURZGESCHICHTE: "Der Wolf"
Noch nie war in den französischen Bergen ein so unheimlich kalter und langer
Winter gewesen. Seit Wochen stand die Luft klar, spröde und kalt. Bei Tage lagen
die großen, schiefen Schneefelder mattweiß und endlos unter dem grellblauen
Himmel, nachts ging klar und klein der Mond über sie hinweg, ein grimmiger
Frostmond von gelbem Glanz, dessen starkes Licht auf dem Schnee blau und dumpf
wurde und wie der leibhaftige Frost aussah. Die Menschen mieden alle Wege und
namentlich die Höhen, sie saßen träge und schimpfend in
den Dorfhütten, deren rote Fenster nachts neben dem blauen Mondlicht
rauchig trüb erschienen und bald erloschen.
Das war eine schwere Zeit für die Tiere der Gegend. Die kleineren erfroren in
Menge, auch Vögel erlagen dem Frost, und die hageren Leichname fielen den Habichten
und Wölfen zur Beute. Aber auch diese litten furchtbar an Frost und Hunger.
Es lebten nur wenige Wolfsfamilien dort, und die Not trieb sie zu festerem
Verband. Tagsüber gingen sie einzeln aus. Da und dort strich einer über
den Schnee, mager, hungrig und wachsam, lautlos und scheu wie ein Gespenst. Sein
schmaler Schatten glitt neben ihm über die Schneefläche. Spürend reckte
er die spitze Schnauze in den Wind und ließ zuweilen ein trockenes,
gequältes Geheul vernehmen. Abends aber zogen sie vollzählig aus
und drängten sich mit heiserem Heulen um die Dörfer. Dort war Vieh und
Geflügel wohlverwahrt, und hinter festen Fensterladen lagen Flinten angelegt.
Nur selten fiel eine kleine Beute, etwa ein Hund, ihnen zu, und zwei aus der Schar
waren schon erschossen worden.
Der Frost hielt immer noch an. Oft lagen die Wölfe still und brütend
beisammen, einer am andern sich wärmend, und lauschten beklommen in die tote
Öde hinaus, bis einer, von den grausamen Qualen des Hungers gefoltert,
plötzlich mit schauerlichem Gebrüll aufsprang. Dann wandten alle anderen
ihm die Schnauze zu, zitterten und brachen miteinander in ein furchtbares, drohendes
und klagendes Heulen aus. Endlich entschloss sich der kleinere Teil der Schar, zu
wandern. Früh am Tage verließen sie ihre Löcher, sammelten sich
und schnoberten erregt und angstvoll in die frostkalte Luft. Dann trabten sie rasch
und gleichmäßig davon. Die Zurückgebliebenen sahen ihnen mit
weiten, glasigen Augen nach, trabten ein paar Dutzend Schritte hinterher,
blieben unschlüssig und ratlos stehen und kehrten langsam in ihre leeren
Höhlen zurück.
Die Auswanderer trennten sich am Mittag voneinander. Drei von ihnen wandten
sich östlich dem Schweizer Jura zu, die anderen zogen südlich weiter.
Die drei waren schöne, starke Tiere, aber entsetzlich abgemagert. Der eingezogene
helle Bauch war schmal wie ein Riemen, auf der Brust standen die Rippen
jämmerlich heraus, die Mäuler waren trocken und die Augen weit und verzweifelt.
Zu dreien kamen sie weit in den Jura hinein, erbeuteten am zweiten Tag einen Hammel,
am dritten einen Hund und ein Füllen und wurden von allen Seiten her wütend
vom Landvolk verfolgt. In der Gegend, welche reich an Dörfern und Städtchen
ist, verbreitete sich Schrecken und Scheu vor den ungewohnten Eindringlingen.
Die Postschlitten wurden bewaffnet, ohne Schießgewehr ging niemand von einem Dorf
zum anderen. In der fremden Gegend, nach so guter Beute, fühlten sich die drei
Tiere zugleich scheu und wohl; sie wurden tollkühner als je zu Hause und brachen
am hellen Tage in den Stall eines Meierhofes. Gebrüll von Kühen.
Geknatter splitternder Holzschranken, Hufegetrampel und heißer, lechzender
Atem erfüllten den engen, warmen Raum. Aber diesmal kamen Menschen dazwischen.
Es war ein Preis auf die Wölfe gesetzt, das verdoppelte den Mut der Bauern.
Und sie erlegten zwei von ihnen, dem einen ging ein Flintenschuss durch den Hals, der
andere wurde mit einem Beil erschlagen. Der dritte entkam und rannte so lange, bis
er halbtot auf den Schnee fiel. Er war der jüngste und schönste von
den Wölfen, ein stolzes Tier von mächtiger Kraft und gelenken Formen. Lange
blieb er keuchend liegen. Blutig rote Kreise wirbelten vor seinen Augen, und
zuweilen stieß er ein pfeifendes, schmerzliches Stöhnen aus. Ein Beilwurf
hatte ihm den Rücken getroffen. Doch erholte er sich und konnte sich wieder
erheben. Erst jetzt sah er, wie weit er gelaufen war. Nirgends waren Menschen
oder Häuser zu sehen. Dicht vor ihm lag ein verschneiter, mächtiger Berg.
Es war der Chasseral. Er beschloss, ihn zu umgehen. Da ihn Durst quälte, fraß
er kleine Bissen von der gefrorenen, harten Kruste der Schneefläche.
Jenseits des Berges traf er sogleich auf ein Dorf. Es ging gegen Abend. Er
wartete in einem dichten Tannenforst. Dann schlich er vorsichtig um die
Gartenzäune, dem Geruch warmer Ställe folgend. Niemand war auf der
Straße. Scheu und lüstern blinzelte er zwischen den Häusern hindurch.
Da fiel ein Schuss. Er warf den Kopf in die Höhe und griff zum Laufen aus,
als schon ein zweiter Schuss knallte. Er war getroffen. Sein weißlicher Unterleib
war an der Seite mit Blut befleckt, das in dicken Tropfen zäh herabrieselte.
Dennoch gelang es ihm, mit großen Sätzen zu entkommen und den
jenseitigen Bergwald zu erreichen. Dort wartete er horchend einen Augenblick und
hörte von zwei Seiten Stimmen und Schritte. Angstvoll blickte er am Berg empor.
Er war steil, bewaldet und mühselig zu ersteigen. Doch blieb ihm keine Wahl.
Mit keuchenden Atem klomm er die steile Bergwand hinan, während unten ein Gewirre
von Flüchen, Befehlen und Laternenlichtern sich den Berg entlangzog. Zitternd
kletterte der verwundete Wolf durch den halbdunkeln Tannenwald, während aus
seiner Seite langsam das braune Blut hinabrann.
Die Kälte hatte nachgelassen. Der westliche Himmel war dunstig und schien
Schneefall zu versprechen.
Endlich hatte der Erschöpfte die Höhe erreicht. Er stand nun auf einem
leicht geneigten, großen Schneefelde, nahe bei Mont Crosin, hoch über dem
Dorfe, dem er entronnen. Hunger fühlte er nicht, aber einen trüben,
klammernden Schmerz von der Wunde. Ein leises, krankes Gebell kam aus seinem
hängenden Maul, sein Herz schlug schwer und schmerzhaft und fühlte die Hand
des Todes wie eine unsäglich schwere Last auf sich drücken. Eine einzeln
stehende breitästige Tanne lockte ihn; dort setzte er sich und starrte
trübe in die graue Schneenacht. Eine halbe Stunde verging. Nun fiel ein mattrotes
Licht auf den Schnee, sonderbar und weich. Der Wolf erhob sich stöhnend und wandte
den schönen Kopf dem Licht entgegen. Es war der Mond, der im Südost riesig
und blutrot sich erhob und langsam am trüben Himmel höher stieg. Seit
vielen Wochen war er nie so rot und groß gewesen. Traurig hing das Auge des
sterbenden Tieres an der matten Mondscheibe, und wieder röchelte ein schwaches
Heulen schmerzlich und tonlos in die Nacht.
Da kamen Lichter und Schritte nach. Bauern in dicken Mänteln, Jäger und
junge Burschen in Pelzmützen und mit plumpen Gamaschen stapften durch den
Schnee. Gejauchze erscholl. Man hatte den verendenden Wolf entdeckt, zwei
Schüsse wurden auf ihn abgedrückt und beide fehlten. Dann sahen sie, dass er
schon im Sterben lag, und fielen mit Stöcken und Knütteln über ihn her.
Er fühlte es nicht mehr.
Mit zerbrochenen Gliedern schleppten sie ihn nach St. Immer hinab. Sie lachten,
sie prahlten, sie freuten sich auf Schnaps und Kaffee, sie sangen, sie fluchten. Keiner
sah die Schönheit des verschneiten Forstes, noch den Glanz der Hochebene, noch
den roten Mond, der über dem Chasseral hing und dessen schwaches Licht in
ihren Flintenläufen, in den Schneekristallen und in den gebrochenen Augen
des erschlagenen Wolfes sich brach.
Von Hermann Hesse ©
Von Hermann Hesse ©
Hermann Hesse, "Wie sind die Tage..."
Wie sind die Tage schwer!
An keinem Feuer kann ich erwärmen,
Keine Sonne lacht mir mehr,
Ist alles leer,
Ist alles kalt und ohne Erbarmen,
Und auch die lieben klaren
Sterne schauen mich trostlos an,
Seit ich im Herzen erfahren,
Dass Liebe sterben kann.
Von Hermann Hesse ©
An keinem Feuer kann ich erwärmen,
Keine Sonne lacht mir mehr,
Ist alles leer,
Ist alles kalt und ohne Erbarmen,
Und auch die lieben klaren
Sterne schauen mich trostlos an,
Seit ich im Herzen erfahren,
Dass Liebe sterben kann.
Von Hermann Hesse ©
Hermann Hesse, "Weihnachten"
Ich sehn' mich so nach einem Land
der Ruhe und Geborgenheit
Ich glaub', ich hab's einmal gekannt,
als ich den Sternenhimmel weit
und klar vor meinen Augen sah,
unendlich großes Weltenall.
Und etwas dann mit mir geschah:
Ich ahnte, spürte auf einmal,
daß alles: Sterne, Berg und Tal,
ob ferne Länder, fremdes Volk,
sei es der Mond, sei's Sonnnenstrahl,
daß Regen, Schnee und jede Wolk,
daß all das in mir drin ich find,
verkleinert, einmalig und schön
Ich muß gar nicht zu jedem hin,
ich spür das Schwingen, spür die Tön'
ein's jeden Dinges, nah und fern,
wenn ich mich öffne und werd' still
in Ehrfurcht vor dem großen Herrn,
der all dies schuf und halten will.
Ich glaube, daß war der Moment,
den sicher jeder von euch kennt,
in dem der Mensch zur Lieb' bereit:
Ich glaub, da ist Weihnachten nicht weit!
Von Hermann Hesse ©
der Ruhe und Geborgenheit
Ich glaub', ich hab's einmal gekannt,
als ich den Sternenhimmel weit
und klar vor meinen Augen sah,
unendlich großes Weltenall.
Und etwas dann mit mir geschah:
Ich ahnte, spürte auf einmal,
daß alles: Sterne, Berg und Tal,
ob ferne Länder, fremdes Volk,
sei es der Mond, sei's Sonnnenstrahl,
daß Regen, Schnee und jede Wolk,
daß all das in mir drin ich find,
verkleinert, einmalig und schön
Ich muß gar nicht zu jedem hin,
ich spür das Schwingen, spür die Tön'
ein's jeden Dinges, nah und fern,
wenn ich mich öffne und werd' still
in Ehrfurcht vor dem großen Herrn,
der all dies schuf und halten will.
Ich glaube, daß war der Moment,
den sicher jeder von euch kennt,
in dem der Mensch zur Lieb' bereit:
Ich glaub, da ist Weihnachten nicht weit!
Von Hermann Hesse ©
Hermann Hesse, "Traum"
Aus einem argen Traum aufgewacht
Sitz ich im Bett und starre in die Nacht
Mir graut vor meiner eigenen Seele tief,
Die solche Bilder aus dem Dunklen rief.
Die Sünden, die ich da im Traum getan,
Sind sie mein eigen Werk? Sind sie nur Wahn?
Ach, was der schlimme Traum mir offenbart,
Ist bitter wahr, ist meine eigene Art.
Aus eines unbestochenen Richters Mund
Ward mir ein Flecken meines Wesens kund.
Zum Fenster atmet kühl die Nacht herein
Und schimmert nebelhaft in grauem Schein.
O süßer, Lichter Tag, komm du heran
Und heile, was die Nacht mir angetan!
Durchleuchte mich mit deiner Sonne, Tag,
Daß wieder ich vor dir bestehen mag!
Von Hermann Hesse ©
Sitz ich im Bett und starre in die Nacht
Mir graut vor meiner eigenen Seele tief,
Die solche Bilder aus dem Dunklen rief.
Die Sünden, die ich da im Traum getan,
Sind sie mein eigen Werk? Sind sie nur Wahn?
Ach, was der schlimme Traum mir offenbart,
Ist bitter wahr, ist meine eigene Art.
Aus eines unbestochenen Richters Mund
Ward mir ein Flecken meines Wesens kund.
Zum Fenster atmet kühl die Nacht herein
Und schimmert nebelhaft in grauem Schein.
O süßer, Lichter Tag, komm du heran
Und heile, was die Nacht mir angetan!
Durchleuchte mich mit deiner Sonne, Tag,
Daß wieder ich vor dir bestehen mag!
Von Hermann Hesse ©
Hermann Hesse, "Stufen"
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!
Von Hermann Hesse ©
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen;
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden,
Wohlan denn Herz, nimm Abschied und gesunde!
Von Hermann Hesse ©
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